Schon seit langem beschäftige ich mich journalistisch mit dem Thema Rewilding. Doch erst nach einiger Zeit fiel mir auf, wie sehr Rewilding und Unkultiviert eigentlich zusammen hängen! Rewilding bedeutet, Natur sich selbst zu überlassen, nicht mehr einzugreifen und dadurch natürliche Prozesse wieder in die Landschaft zu bringen. Auf diese Weise werden Selbstheilungskräfte angeregt, Natur erholt sich und Artenvielfalt kehrt zurück. Es entstehen „eigenwillige“ Gebiete – Natur, die über sich selbst bestimmt, ohne in erster Linie menschlichen Interessen zu dienen. Rewilding spricht Natur ein eigenständiges Existenzrecht zu, das gleichwertig dem menschlichen Existenzrecht zu betrachten ist.
Und ähnlich wie Rewilding lenkt auch Unkultiviert den Blick auf alles, was keinem menschlichen Plan entspringt oder entspricht. In einer durch und durch von Kulturlandschaften geprägten Umgebung feiert Unkultiviert das Wilde: Pflanzen, Tiere, Lebewesen, die nicht domestiziert sind und damit nicht von menschlicher Kontrolle abhängen. Die eigenständig existieren und ihrem eigenen Plan folgen.
Deswegen verfolge ich mit Unkultivert auch das „Human Rewilding“. Das Wertschätzen und Fördern von allem Unkultivierten ist angesichts von dramatischem Artensterben, Naturverlust und Klimakrise mehr als notwendig. Grund für die Zerstörung der Basis allen Lebens auf diesem Planeten ist die Tatsache, dass wir Natur als Ressource betrachten und allein für unsere menschlichen Bedürfnisse ausbeuten. Zwei Drittel der Erde sind bereits massiv durch menschlichen Eingriff degradiert, dazu zählen etwa Abholzung von Wäldern, industrielle Landwirtschaft, Viehzucht, Abbau von Bodenschätzen und Fischfang – ganz abgesehen von Siedlungen und Verkehr. Natur braucht nicht nur Platz. Natur hat außerdem das Recht, unabhängig von menschlichen Bedürfnissen zu existieren. Natur ist keine Ressource. Natur ist Leben.
Zeit, uns selbst zu „unkultivieren“, uns zu ent-domestizieren und zu einem wilderen und eigenwilligeren Leben zu finden! Zeit für ein „Human Rewilding“! Dazu gehört nicht nur, unnötige Kontrolle aufzugeben und vertrauensvoll zu schauen, was auch von alleine „wächst“. Rewilding bedeutet auch (zurück)finden zu Lebensweisen, die in Verbindung mit Natur sind und auf einem nachhaltigen, verträglichen Miteinander basieren. Alles bisherige gehört auf den Prüfstand, was die unselige Trennung von Mensch und Natur zementiert und uns eine Rolle zuschreibt, die uns als „Krone der Schöpfung“ das Recht gibt, uns über alle anderen Mitbewohner des Planeten zu stellen und über sie zu entscheiden. Stattdessen ist es unsere Fähigkeit, uns als Teil der Natur zu fühlen und uns als Menschen mit den Ökosystemen zu verweben, die wir wiederfinden müssen. Dabei ist keine Rückentwicklung nötig, die uns in die Steinzeit zurückwirft. Was es allerdings braucht, ist eine Rückbesinnung. Eine Rückbesinnung auf erprobte Seinsformen, Kulturtechniken und Beziehungsmodelle als Vorbilder für resiliente, nachhaltige Lebensgemeinschaften von Mensch und Natur.
Was wir brauchen, ist eine tiefgreifende Veränderung. Eine neue Kultur. Eine Gesellschaft, die auf neuen Beziehungen auf Augenhöhe mit allen Lebewesen basiert. Eine Kultur resilienter Systeme, regenerativer Produktionsprozesse, lebendiger Netzwerke. Wir brauchen eine neue Geschichte.