Ein Wohnwagen auf einem Campingplatz am Rande des walisischen Küstendörfchens Pembroke. Im Inneren bietet sich ein überraschendes Bild: Im Vorzelt steht Matt Powell in einer Hightech-Küche mit Edelstahltheke, Thermomix und Sous Vide Garer. In diesem mobilen Miniatur-Profi-Küchenreich entstehen 11 Gänge Menüs, die zu dem Aufregsendsten gehören, was die Gastronomiewelt gerade zu bieten hat. Denn fast alles, was bei Matt auf den Teller kommt, hat er selbst gepflückt, gefischt, gefangen, gesammelt, eingelegt, fermentiert, getrocknet, pulverisiert.
Matt Powell ist sprichwörtlich das, was man im Englischen down-to-earth nennt: es geht ihm um den Boden, die Erde, die ihn umgibt und was auf ihr wächst. Seine Speisen sind ein Spiegel der rauhen, bezaubernden Küstenlandschaft, in der er Zuhause ist. Alles, was er kocht, ist zu 100 Prozent inspiriert von der walisischen Natur. Konsequenterweise lautet sein Motto: Wales on a plate!
„Fishing and Foraging in Wales“ heißt sein Ein-Mann-Unternehmen, und der Name ist Programm: Wer bei ihm essen möchte, den nimmt Matt erstmal mit auf eine „foraging tour“ in die Umgebung. Denn seine Gäste sollen nicht nur die Gerichte genießen, sie sollen auch verstehen, wo sie herkommen. Gemeinsam werden dabei Algen von den Meeresfelsen gepflückt, in den Wiesen nahe der Küste wachsen eine Vielzahl essbarer Wildpflanzen, und im Wald findet man mit etwas Glück Pfifferlinge oder Steinpilze.
Kochen im Zelt ist eine Herausforderung. Wenig Platz, kein fließendes Wasser – zu Matts meist benutzten Arbeitswerkzeugen gehört eine Gießkanne. Nur sechs Gäste haben in der anderen Hälfte des Vorzelts Platz. Dort steht ein einfacher Tisch, auf den knapp 20 Quadratmetern Camperidylle sind Küche und Essraum praktischerweise zusammelgelegt. Das ist kein Vergleich mit den Spitzenrestaurants, in denen Matt früher gearbeitet hat. Doch irgendwann hatte er keine Lust mehr, den Sternen hinterherzujagen. Auch die Art und Weise, wie unnachhaltig die meisten Restaurants wirtschaften, fand er immer unerträglicher. So schuf er sein eigenes Sternenreich, und warum nicht in einem Zelt – ein Sternenzelt? Fine dining à la Matt heißt nun: Small scale, nur soviel sammeln, wie nötig. Und geschmacklich das Beste aus dem herausholen, was die Umgebung bietet.
Experimentieren, haltbar machen, neue Geschmackserlebnisse kreieren – das ist Matt Powells wilde Welt. Im Frühling sammelt er Blätter, Blüten und Knospen vom Bärlauch und legt sie in Salz und Essig ein. Er zapft Birkenwasser und fermentiert es zu Wein und Essig. Das dauert schon mal zwei bis drei Jahre. Eins der Gerichte, das er seinen Gästen serviert, ähnelt einer Küstenlandschaft: verschiedene Algensorten drapiert er auf Steinen, die er vom Strand gesammelt hat. Dazu gibt es Napfschneckensuppe in ihrer eigenen Muschelschale. Er macht sein eigenes, „walisisches“ Dashi aus heimischen Algen und Pilzen, Sanddorn und Kelpessig. Das Dessert – eine Puddingcreme mit Stechginsterblüten – serviert er in einem echten Vogelei, das auf einem „Felsen“ aus Meringue trohnt. Eine Homage an die Vögel, die er so liebt, und ihr harsches Leben an der Küste. Eine ganze neue Welt wartet da draußen, kulinarisch entdeckt zu werden.
Mit dem Ökosystem arbeiten und nicht dagegen – wenn es nach Matt Powell ginge, sollten alle Gastronomen so denken und handeln. Er selbst tut das schon lange. Auch wenn das viel Arbeit bedeutet. Um ein Körbchen Stechginsterblüten zu sammeln braucht er eine Stunde, das Verarbeiten und Bevorraten der Zutaten für den Rest des Jahres nimmt einen Großteil seiner Zeit in Anspruch. Doch es lohnt sich, sagt Matt. Es macht glücklich. Es verbindet mit der Natur. Und eins wird es weder für ihn noch für seine Gäste: langweilig.